Auf ihrem Miniatur-Profilbild auf Instagramwird es ganz schön eng. So gerade passen die vier Frauen Elena, Julia, Lara und Viviane auf das Foto. Ihre drei Kinder und die Katzen sind nicht dabei.
Na, kommst du noch mit? Klingt bestimmt erst einmal kompliziert. Und ein bisschen ungewohnt. Die Frauen leben polyamor, von poly (mehrere) und amor (Liebe). Der Österreicher Sozialwissenschaftler Stefan Ossmann definiert Polyamorie als „eine einvernehmliche Beziehung zwischen mehr als zwei Personen, basierend auf emotionaler Liebe und intimen Praktiken über einen längeren Zeitraum hinweg“.
Entstanden ist der Begriff in den 1990er-Jahren in den USA. Die ersten Menschen, die den Begriff Polyamorie verwendet haben, lassen sich dem queer-feministischen Umfeld zuordnen. Wie viele Menschen in Deutschland und weltweit heute polyamor leben, ist nicht genau bekannt. Ossmann, der an der Universität Wien seine Doktorarbeit über das Thema schreibt, unterscheidet zwischen zwei Formen:
Das dürften gerade einmal fünf Prozent sein, schätzt der Experte. Der Anteil der geouteten Personen sei noch niedriger. Zumal in manchen islamisch geprägten Ländern eine solche Beziehungsform als Todsünde gelte. Und auch hierzulande fehle es nach wie vor an Akzeptanz.
Während Elena, Julia, Lara und Viviane eine feste Vierer-Beziehung in einem Haushalt führen, geht etwa Christopher Gottwald andere Wege. Der 51-Jährige wohnt in Berlin mit einer Frau zusammen.
Beide führen aber außerhalb der eigenen vier Wände noch andere „kleine“ Beziehungen, wie der Medienbeauftragte des 2008 gegründeten Vereins „Das Polyamore Netzwerk“ erklärt. „Ich flirte einfach super gern.“ Er genieße die Freiheit und möchte auch sein Gegenüber darin nicht beschränken.
Der ausgebildete Schauspieler merkte schon als Jugendlicher, dass die traditionelle Mann-Frau-Beziehung nichts für ihn ist: „Ich war damals oft verliebt und immer hat sich die Frau früher oder später neu verliebt und mich verlassen. Da hab ich mir gedacht: Muss das sein!?“
Damals habe ihm eine Plattform gefehlt, auf der er sich mit anderen hätte austauschen können. Nun gibt er selbst Workshops zu dem Thema. Das regelmäßige Poly-Treffen des Vereins findet zwei bis dreimal jährlich statt – nach eigenen Angaben mit meist mehr als hundert Teilnehmenden.
„Ich stelle mir eine polyamore Beziehung, in der es klare und faire Absprachen gibt, mitunter eher mit dem christlichen Glauben vereinbar vor, als solche monogamen Beziehungen, in denen es große Machtgefälle gibt“, sagt Niesner. Er ergänzt aber: „Ich glaube nicht, dass wir in Kirche nun alle anfangen müssen, über Polyamorie zu predigen.“ Wichtiger sei ein selbstverständlicher Umgang mit Menschen in anderen, alternativen Beziehungs- und Familienmodellen.
Nur die Eifersucht, geben polyamore Paare zu, sei so eine Sache. „Man muss schon sehr gesettelt sein, glücklich mit sich selbst“, ist Christopher Gottwald überzeugt. Auch Elena von „happypolyfamily“ war anfangs eifersüchtig: „Ich hatte Angst, ersetzt zu werden“, schreibt sie unter einen Instagram-Post zum Thema. „Heute passiert mir das nur noch selten. Ich spreche dann mit der betroffenen Person drüber. Es gibt mir Sicherheit, dass ich meine Unsicherheit aussprechen kann.“
Seminarleiter Christopher Gottwald sieht in Poly-Beziehungen Zukunftspotenzial – zum Beispiel auch für Menschen mit Behinderung, Seniorinnen und Senioren. Er erzählt: „Ich kenne einen Menschen im Rollstuhl. Der meinte mal zu mir: Ich habe in der monogamen Welt kaum eine Chance auf eine Beziehung. Die Menschen haben Angst sie müssten mich den Rest ihres Lebens pflegen." Die Person, von der Gottwald berichtet, wäre schließlich mit mehreren Partnerinnen polyamore Beziehungen eingegangen und konnte dadurch wieder Sexualität leben.