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Lovebombing und Co.

Toxische Beziehungen machen uns krank

Manipulation bestimmt toxische Beziehungen
gettyimages/SvetaZi
Manipulation bestimmt toxische Beziehungen

Wolke 7 oder alles scheiße. Toxische Beziehungen. Unsere Redakteurin spricht über ihre Erfahrung mit Lovebombing. Ein Paartherapeut gibt Tipps, wie du eine toxische Person erkennst.

Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Jan (Name von der Redaktion geändert) machte mir Komplimente, schenkte mir Blumen, lud mich zum Essen ein. Wochenlang ging das so. Da war ich Anfang 20. Und ziemlich verknallt. Jan war Reitlehrer. Nicht zuletzt deswegen verstanden wir uns auf Anhieb blendend. Ich, das ewige Pferdemädchen. Seinen Eltern gehörte ein Reiterhof. 

Toxische Beziehung: Wutausbrüche und Schuldzuweisungen

Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem die Beziehung eine Kehrtwende machte. Wir waren bei Jan zu Hause, wollten uns einen gemütlichen Filmabend machen. Als Jan später die Pizza völlig verbrannt aus dem Ofen zog, eskalierte es zum ersten Mal. Das war sozusagen der Tropfen auf dem heißem Stein. 

Er flippte erst aus, schrie und trampelte wutentbrannt durch die Wohnung. Wenig später brach er zusammen, kauerte auf dem Fußboden, weinte bitterlich. Er erzählte mir von seinen Problemen, seinen Schulden und davon, dass er mir eben alles recht machen und etwas bieten wolle. 

War ich eine schlechte Freundin?

Von diesen Ausbrüchen gab es noch ein paar in den nächsten Monaten. Irgendwann richtete sich seine Wut konkret gegen mich. Ich würde ihn unter Druck setzen, ihn bewusst eifersüchtig machen. Langsam zweifelte ich an mir. Hatte er recht? War ich eine schlechte Freundin? Meine Eltern bemerkten zuerst, dass etwas nicht stimmte. Sie sahen mir an, wie sehr mich die Beziehung mitnahm. Ich weinte viel, hatte keine Lust auf nichts mehr. 

Toxische Beziehung Paar
GettyImages/Kosamtu
Heiß und kalt. Liebevoll und abweisend. Ein Dazwischen gibt es in toxischen Beziehungen nicht.

Bei der Trennung drohte er mit Selbstmord

Nach einem erneutem Anfall von Jan entschied ich mich für die Trennung. Jan bettelte mich an zu bleiben. Wenn nicht, so drohte er, würde er sich ins Auto setzen und gegen den nächsten Baum fahren. Wie ich ihm das antun könne? Einem Menschen, der ohnehin schon am Boden ist, mit Füßen zu treten. Ob ich wirklich glauben würde, jemand Besseren zu finden? Dass ich das bereuen würde.

All das musste ich mir anhören. Auch noch Tage danach, an denen er vor meiner Tür stand. Erst nach einer Ansage meines Vaters wurde es ruhiger. 

Katharinas erste Freundin hatte toxische Eigenschaften
privat
Ein halbes Jahr war Katharina in einer toxischen Beziehung gefangen. Heute ist sie glücklich verheiratet.

Heute weiß ich: Das war keine gesunde Beziehung, vermutlich sogar eine toxische Beziehung. Die Kennenlernphase auf jeden Fall von Lovebombing (Erklärung in der orangenen Signalbox) geprägt. Solche Begriffe kannte ich damals nicht. Jahre danach habe ich von mehreren Freundinnen gehört, dass auch sie solche Beziehungen erlebt hätten.

Liebesbeziehung und Freundschaft können toxisch sein

Eine genaue, wissenschaftliche Definition für das Phänomen gibt es nicht. „Toxisch“ bedeutet „giftig“, „schädlich“. Im AOK-Gesundheitsmagazin etwa heißt es: „Eine Person unterdrückt die andere systematisch, um Macht und Kontrolle über ihn oder sie aufrechtzuerhalten.“ Das kann in einer Liebesbeziehung ebenso wie in einer Freundschaft passieren. 

Der Begriff scheint im Trend zu liegen. Auf Instagram versprechen diverse Coaches ihre Hilfe bei toxischen Beziehungen. Der Hashtag selbst zählt knapp 30.000 Einträge, die englische Bezeichnung fast 100.000. Das Oxford Dictionary kürte „toxic“ 2018 zum Wort des Jahres.

Laut eines Beitrags des Wissenschaftsmagazins Spektrum wurde der Begriff online mittlerweile 45 Prozent häufiger nachgeschlagen als noch in den Jahren zuvor. 

Eine Person unterdrückt die andere, um Kontrolle aufrechtzuerhalten.

Lovebombing

Euer Kennenlernen verläuft so toll, dass es fast zu schön ist, um wahr zu sein. Er oder Sie überhäuft dich mit Komplimenten und Geschenken. Aber Vorsicht: Oft stecken narzisstische Persönlichkeiten dahinter. Diese Menschen wollen dadurch nur selbst im Mittelpunkt stehen. 

Umfrage: Fast 40 Prozent hatten eine toxische Beziehung

Einer Umfrage von 2021 im Auftrag der Online-Partnervermittlung Parship zufolge, waren rund 36 Prozent der Befragten bereits in einer toxischen Beziehung. Dies traf auf knapp ein Drittel der männlichen Befragten und etwa 41 Prozent der weiblichen Befragten zu.

Der Hamburger Psychologe und Paartherapeut Christian Hemschemeier erklärt: „Man entwickelt eine Sucht, fühlt sich wie ein Drogenjunkie.“ In seinen Kursen behandelt der Autor die Opfer toxischer Beziehungen.

Typisch für die Beziehungsform: Der oder die Täter:in manipulieren ihr Gegenüber durch Ignoranz, Demütigungen oder leere Versprechungen und machten ihn oder sie so abhängig. Oftmals steckten dahinter narzisstische Persönlichkeiten. 

Man fühlt sich wie ein Drogenjunkie.

In den seltensten Fällen schaffen seine Klientinnen und Klienten den sofortigen Absprung aus einer solchen Beziehung. Oft quälten sie sich Monate oder Jahre. Gerade Männer trauten sich zudem häufig nicht, selbst Hilfe in Anspruch zu nehmen. 

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Anrufe und Nachrichten werden ignoriert

Auch Katharina hat eine „toxische Bilderbuch-Beziehung“ geführt, wie sie erzählt. Heute, sechs Jahre später, kann sie darüber lachen. Aber: Das hat gedauert. Am Anfang war es ein bisschen „wie auf Drogen“, erinnert sie sich. Damals lernt die 27-Jährige aus Berlin ihre damalige Freundin über die Dating-App Tinder kennen. Sofort hat es zwischen den beiden gefunkt. Schon nach drei Tagen redet Ramona (Name von der Redaktion geändert) vom Heiraten. Katharina schwebt auf Wolke sieben. 

Doch schon wenig später ging das Drama los. Tagelang werden ihre Anrufe und Nachrichten ignoriert. Die beiden Frauen führen eine Fernbeziehung. „Bei uns gab es keinen gesunden Streit.“ Stattdessen: Türenknallen, Gegenstände werden an die Wand geschmettert. Katharina ist mittendrin in der toxischen Beziehung.

Trennung dauert oft Monate oder Jahre

Ein halbes Jahr braucht Katharina, um sich zu trennen: „Eines Morgens hatte mir ein fremder Typ ein Dickpic aufs Handy geschickt.“ Ramona habe das Bild gesehen, sei durchgedreht und habe Katharina halb nackt aus der Wohnung geschmissen. Seitdem haben die Zwei nie wieder etwas voneinander gehört. „Zum Glück“, sagt Katharina rückblickend. „Hätte sie sich noch einmal gemeldet, wäre ich wieder schwach geworden.“ 

Gaslighting

Der Begriff bezeichnet eine Form von psychischer Gewalt, bei dem die Opfer so stark durch Lügen, Leugnen und Einschüchterungstaktiken manipuliert werden, dass sie anfangen, an ihrem eigenen Verstand zu zweifeln. (Quelle: Barmer)

Beziehungsexperte Hemschemeier rät, früh wachsam zu sein. „Wenn ich sofort am Anfang denke: Wow, wir sind Seelenverwandte, heißt es Vorsicht!“ Was zunächst romantisch klingt, ist seiner Erfahrung nach eher ein schlechtes Zeichen: „Gesunde Beziehungen starten gemächlich. Man ist vielleicht verliebt, aber alles Weitere entwickelt sich nach und nach.“ 

Tinder und Co. fördern toxische Beziehungen

Online-Dating würde toxische Beziehung nochmals befeuern, ist Hemschemeier überzeugt. „Plattformen wie Tinder sind ideal für Egozentriker.“ Dort könnten Userinnen und User viel Bullshit erzählen, außerdem sei die Auswahl an potenziellen Dating-Partnern riesig. 

Der Experte warnt: Toxische Beziehungen haben erhebliche Auswirkungen auf den Körper und die Seele. Die Entzündungswerte verschlechtern sich, Freunde isolieren sich, weil sie das ewige Gejammer nicht mehr hören können, auch Depressionen können auftreten. 

Hol dir Hilfe!

→ Telefonseelsorge: 0800–111 011 1

→ Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: 08000 116 016

→ Eine Liste mit Beratungsstellen gibt es bei Pro Familia

Katharina will ihre Erfahrungen weitergeben und spricht in ihrem Podcast "Träuma weiter" über das Thema. Sie weiß, wie hart so eine Trennung ist: „Du bist wie im Rausch. Klar, es gibt viele schlechte Momente, aber du kennst eben auch das gute Gefühl, diese krassen Endorphine, die du gespürt hast.“ 

Ich kann Katharina verstehen. Ich habe mit Jan auch beide Seiten erlebt. Die ersten Wochen, in denen alles perfekt schien, und die zweite Hälfte der Beziehung, die mich völlig auslaugte. Zum Glück konnte ich mich vergleichsweise rasch lösen. Gelernt habe ich aus der Beziehung auf jeden Fall. Inzwischen spüre ich schnell, welche Menschen mir gut tun und welche nicht. Von Letzteren trenne ich mich radikal. Auch wenn damit der Kreis um einen herum kleiner wird. 

Teile deine Erfahrung

Hast du schon einmal eine toxische Beziehung erlebt? Wie bist du dem Sog entkommen? Erzähl uns davon. Gerne auch anonym. Schreib uns eine E-Mail oder kontaktiere uns auf Social Media:

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