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Ökumene und Vielfalt

Von der Freikirche zur Queer-Theologie

Aki Hild forscht zu queerer Theologie
privat

Aufgewachsen in einem homofeindlichen und konservativen Umfeld, ist Aki Hild in einem Prozess über mehrere Jahre hinweg aus einer Freikirche in die Landeskirche gewechselt. Heute forscht sie zu Geschlechtervielfalt.

Kein tanzen, keinen Alkohol, kein Feiern gehen. ❌ Am Samstag wird nicht gearbeitet, sondern die Bibel studiert und der Gottesdienst besucht. Von ihrer Kindheit an bis zum Erwachsenwerden, im Alter von 5 bis 25 Jahren, war das Teil von Alexandra „Aki“ Hilds Leben.

Strenge Regeln für junge Menschen in der Kirchengemeinde

„In den konservativen Kreisen, aus denen ich komme, war Tanzen verboten, weil dabei zu viel körperliche Nähe zu anderen Menschen entstehen kann. In Teilen galt es sogar als als teuflisch“, sagt die heute 30-Jährige.

Sozialisiert und aufgewachsen ist Aki bei den Siebenten-Tags-Adventisten, einer protestantischen Freikirche. Kennzeichen dieser Glaubensgemeinschaft sind, dass sie den Sabbat heiligt, also den Samstag als siebten Tag der Woche als Ruhetag begeht und an eine baldige Wiederkunft Jesu glaubt sowie die Erwachsenentaufe. Wie bei allen Glaubensgemeinschaften, gibt es ein Spektrum an Überzeugungen von konservativ bis liberal.

Siebenten-Tags-Adventisten

Die Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten hat ihre Ursprünge in den USA des 19. Jahrhunderts. Sie feiern ihre Gottesdienste samstags und erwarten die baldige Wiederkunft Jesu, woraus sich ihr Name ableitet. Weltweit haben die Adventisten rund 20 Millionen Mitglieder, in Deutschland gehören circa. 34.000 Gläubige den Gemeinden an. Infos bietet das Zentrum Ökumene in seiner Broschüre„Evangelische Orientierungen inmitten weltanschaulicher Vielfalt“ (PDF).

„Ich bin landeskirchlich getauft, doch als ich ungefähr fünf oder sechs Jahre alt war, haben sich meine Eltern den Siebenten-Tags-Adventisten angeschlossen“, erzählt Aki. Schon ihre Großmutter, die aus Serbien  stammt, hatte der Freikirche angehört. Aufgrund ihrer Ehe mit einem orthodoxen nicht-religiösen Sozialisten wurde sie damals aus der Gemeinde ausgeschlossen.

Verbote und Gebote

Akis Zeit in der Freikirche war geprägt von einem Regelwerk aus Geboten und Verboten. Nur wer diese Regeln einhalte, so konservative Stimmen der Adventisten, die sie damals erlebt hat, wird am Ende von Jesus gerettet. Grundlage dafür ist der Bibelvers Johannes 14,21. „Jesus spricht: ‚Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist’s, der mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.‘“

Zu den Verboten gehörten für sie unter anderem:

  • keine Arbeit am Samstag, auch kein Lernen
  • kein Alkohol und kein Rauchen
  • keine gleichgeschlechtlichen, queeren Beziehungen
  • kein Sex vor der Ehe
  • kein Feiern im Club und teilweilweise auch kein Tanzen
  • kein Essen von (Schweine-)Fleisch und Tieren, die der Bibel nach als unrein gelten

Die Gebote waren:

  • den Sabbat heiligen
  • beten, Bibel lesen und den Gottesdienst besuchen
  • sich als Frau prüde und bedeckt kleiden
  • ein gottgefälliges Leben nach den 10 Geboten führen
  • ein gesunder Lebensstil
  • missionieren gehen

Den Gottesdienst besuchen, während die Freunde feiern

Lange Zeit war Aki von diesen Regeln selbst überzeugt. Sie engagierte sich in der Gemeinde und verbrachte ihre Freizeit dort. „Meine Freunde aus der Schule sind samstags feiern gegangen, währenddessen habe ich im Gottesdienst englischsprachige Predigten live ins Deutsche gedolmetscht“, erinnert sie sich.

Akis Überzeugungen änderten sich Schritt für Schritt, als sie nach dem Abitur anfing, evangelische Religion und Biologie auf Lehramt zu studieren. Im Studium in Frankfurt kam sie mit der landeskirchlichen Theologie der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Berührung. Die vielen konservativen Regeln der Adventisten, so wie Aki sie kennengelernt hat, „haben mich auf Dauer unglücklich gemacht. Im Studium ist mir klar geworden, dass weniger die eigenen Taten im Mittelpunkt stehen, sondern die Beziehungen zu anderen Menschen“, sagt sie.

Diese Offenheit gegenüber vielfältigen Lebensweisen und Überzeugungen habe ihr in der Freikirche gefehlt. Es war ein langer Prozess über fünf Jahre, in dem Aki sich von der Freikirche immer mehr distanzierte. Heute ist sie insbesondere ökumenisch engagiert. 

Mensch sein heißt in Beziehung sein. In Beziehung zu sich selbst, zu anderen und zu Gott.

Mit diesem Zitat bezieht Aki sich auf den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber

Der Mensch steht in Beziehung zu sich selbst, zu anderen und zu Gott.
privat

Ein Dreieck, das Aki sich zu Hause an die Wand gemalt hat, bringt eben dies zum Ausdruck. „Der Mensch steht in Beziehungen zu anderen Menschen. Wenn ich aber so enge Regeln habe, dass ich Körperlichkeit, intime Beziehungen und andere Lebensweisen ablehne, weil sie meiner Vorstellung von ‚Gottes Willen‘ widersprechen, stehen diese Beziehungen unter Spannung“, sagt sie.

Ökumene ist zentral für ein gutes Zusammenleben

Aufeinander zugehen, miteinander ins Gespräch kommen und sich austauschen – die Frage, wie ein gutes Zusammenleben mit anderen möglich ist, ist für Aki religiös wie auch gesellschaftlich und politisch zentral. Dazu gehört der Gedanke der Ökumene, also der Austausch zwischen den verschiedenen Konfessionen. „Dieser Austausch mit anderen hat zu meiner Öffnung gegenüber anderen religiösen Gemeinschaften beigetragen“, erzählt sie. 

An den evangelischen Landeskirchen schätzt Aki, dass sie stärker in der Gesellschaft verankert seien als viele Freikirchen. Und in die Gesellschaft hinein wirken, etwa in Form der Diakonie, der Teilnahme am Christopher Street Day und dem Dialog zwischen den Religionen. Gleichzeitig fällt Aki an den Freikirchen auf, dass ihre Gemeinden häufig heterogener zusammengesetzt seien, als das bei Landeskirchen der Fall sei.

„Ursprünglich komme ich aus einem ziemlich queerfeindlichen Umfeld. In Teilen der Adventgemeinden wird Homosexualität als Sünde angesehen.“ Mitten im Studium hat Aki queere, englischsprachige Youtuber entdeckt, die von diskriminierenden Erfahrungen in ihren Familien und Kirchen berichteten.

Doktorarbeit zu queerer Theologie

Aktuell schreibt Aki ihre Doktorarbeit an der theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Sie trägt den Arbeitstitel „Queere Gläubige in Kirchen - Sexualität und Gender in religiösen Gemeinschaften“. „Ich wollte herausfinden, inwiefern ein queeres Selbstbild im Widerspruch zu einer Ebenbildlichkeit Gottes steht und welche Auswirkungen das auf die eigene Gottesbeziehung hat“, sagt sie.

Eine Erkenntnis aus Akis bisheriger Forschung ist, dass queer-feindliche Gottes- und Menschenbilder häufig mit einer konservativen bis politisch rechten Weltanschauung zusammenhängen. „Am Ende führt das zur Ausgrenzung und Diskriminierung aller, die andere Überzeugungen haben. Das widerspricht meiner persönlichen Überzeugung von Gott und der Vielfalt des Lebens“, sagt sie.

Hürden auf dem Weg ins Pfarramt

Nach der Promotion ist es Akis Ziel, Pfarrerin zu werden. Dafür muss sie noch mehrere Prüfungen im Fach Theologie absolvieren  – denn Aki hat ihr Studium mit einem Staatsexamen für das Lehramt abgeschlossen. Für den Zugang ins Pfarramt ist aber ein theologischer Abschluss Voraussetzung.  „Es wäre toll, wenn die Landeskirchen auch Quereinsteiger*innen wie mir den Zugang zur Kirche und insbesondere zum Pfarramt erleichtert“, wünscht sie sich.

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Denn auch wenn es im Pfarramt einen Fachkräftemangel zu beklagen gibt, sind die Hürden in den Beruf etwa mit dem umfangreichen Theologiestudium hoch: „Wenn ich mir die aktuellen Zulassungsbeschränkungen anschaue, dann kann der Fachkräftemangel so groß nicht sein“, sagt Aki.

Von den Kirchen wünscht sich Aki weniger starre Strukturen, eine stärkere ökumenische Ausrichtung, mehr Vielfalt und Heterogenität. „Einfach eine buntere Kirche“, wie sie sagt.

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