Hilfe in Krisenzeiten

Seelsorger:innen sind für die Menschen da

Füreinander da sein und sich um andere kümmern ist eine Form der Seelsorge
Gettyimages/LumiNola
Füreinander da sein und sich um andere kümmern ist eine Form der Seelsorge

In allen Lebenslagen kümmern sich Seelsorgerinnen und Seelsorger um Menschen. Was, wenn es sie nicht mehr gäbe?

Egal ob im Gefängnis, bei der Bundeswehr oder auf dem Weihnachtsmarkt: Seelsorgerinnen und Seelsorger der Kirche kümmern sich um Menschen – nicht nur, wenn es ihnen schlecht geht.

„Ohne Seelsorger hätte ich nicht gewusst, was ich machen soll“

Olaf aus Kiel
privat
Olaf aus Kiel

24 Jahre lang war Olaf heroinabhängig. 1994 wurde er im Alter von 23 Jahren in Hamburg inhaftiert - aufgrund von Drogenabhängigkeit und Beschaffungskriminalität. Zwölf Jahre saß er insgesamt im Gefängnis.

„Von einem Tag auf den anderen war ich total abgeschnitten, hilflos und allein. Ohne den Seelsorger hätte ich nicht gewusst, was ich machen soll“, erzählt Olaf, der heute 52 Jahre alt ist. Seit sieben Jahren ist er mittlerweile clean. 💪😎

In der Haftanstalt sei der Gefängnispfarrer sein erster Ansprechpartner gewesen. „Wichtig war mir, meine Mutter und meine Familie zu informieren. Aber telefonieren durfte ich nicht einfach so.“ Der Pfarrer half Olaf dabei, einen entsprechenden Antrag zu stellen.  

In seiner Zeit im Gefängnis war der Seelsorger für Olaf da. Er kam ihn in seiner Zelle besuchen, brachte ihm auch mal Zigaretten von draußen mit.

„Er hat mir zugehört. Das war für mich eine emotionale, und zugleich auch eine praktische Hilfe, etwa, weil er mich über die verschiedenen Therapieangebote beraten hat.“

Auch Sozialarbeiter habe es im Gefängnis gegeben, die seien aber überlastet gewesen. „Wenn ich den Pfarrer nicht gehabt hätte, das mag ich mir gar nicht vorstellen.“

Als Seelsorger bei 50 Grad im Nordirak im Einsatz

Militärpfarrer Tim Mahle
Bundeswehr
Militärpfarrer Tim Mahle

An vielen Orten, wo Menschen zusammen kommen, begleitet Kirche sie seelsorgerlich. Das gilt auch für die Bundeswehr.

Tim Mahle (40) ist Militärpfarrer und Seelsorger im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz. Von 2016 bis 2020 war er am Standort Daun für die Soldatinnen und Soldaten zuständig und hat 2019 einen Auslandseinsatz im Nordirak begleitet.

„Wir saßen dort viereinhalb Monate auf engstem Raum zusammen. Es gab kaum Privatsphäre, hinzu kamen die Belastungen des Einsatzes sowie körperliche Belastungen bei Temperaturen bis zu 50 Grad“, erzählt er.

Schon Kleinigkeiten wie etwa ein Streit in der Familie zuhause, könne bei den Soldaten eine emotionale Stresssituation auslösen. „Man fühlt sich hilflos, weil man nicht vor Ort ist und eingreifen kann“, hat Mahle erlebt.

Diese Situation gelte es, im Einsatz auszuhalten. Der Militärpfarrer ist für die Soldaten da und bietet Gespräche an. „Zunächst geht es darum, den Problemen einen Raum zu geben und sie sich von der Seele zu reden. Kommunikation entlastet und ist ein wichtiger Faktor“, sagt er.

Auch wenn Mahle im Einsatz Uniform trägt, hat er keinen militärischen Rang und ist als Zivilist vor Ort. „Anders als der Truppenpsychologe oder der Sozialdienst bin ich nicht Teil des Systems. Und ich bin der absoluten Verschwiegenheit verpflichtet.“

Konkret bedeutet das, dass Mahle etwa keine Beurteilungen an Vorgesetzte weiter gibt oder Aktenvermerke schreibt. „Der Soldat kann sich auf meine Verschwiegenheit verlassen. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal der Militärseelsorge“, sagt er.

Lesetipp: Polizeiseelsorge

„Als ich anfing, war ich den alten Haudegen suspekt.“ Polizeipfarrer Wolfgang Hinz berichtet aus seiner Tätigkeit.

Seelsorge ist da, wo die Menschen sind

Kirchliche Seelsorge findet nicht allein hinter Kirchenmauern statt, sondern ist da, wo die Menschen sind. Dazu gehören:

👉 die Flughafenseelsorge

👉 die Polizeiseelsorge

👉 die Krankenhausseelsorge

👉 die Schul- und Studierendenseelsorge

👉 die Notfallseelsorge

👉 die Flüchtlingsseelsorge

👉 die Hospiz- und Paliativseelsorge

👉 die Trauerseelsorge.

Seelsorge zwischen Glühwein und gebrannten Mandeln

Schaustellerseelsorgerin Christine Beutler-Lotz auf dem Weihnachtsmarkt
epd
Schaustellerseelsorgerin Christine Beutler-Lotz auf dem Weihnachtsmarkt

Etwa 4.500 Schaustellerinnen und Schausteller gibt es im Kirchengebiet der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), knapp die Hälfte von ihnen ist evangelisch. Da sie Reisende sind und keine feste Gemeinde haben, kümmert sich Christine Beutler-Lotz  um sie, die einzige Schaustellerseelsorgerin in der EKHN.

„Auf der Kirmes oder Weihnachtsmärkten ist Kirche nicht als Gebäude vor Ort, sondern ich gehe von Stand zu Stand“, sagt Beutler-Lotz. Die schönsten Tage, hat sie erlebt, seien die Regentage, weil dann mehr Zeit zum Reden sei. „Auch montags funktioniert gut, weil da wenig los ist“, erzählt sie.

Speziell die Zeit während Corona habe den Schausteller:innen zugesetzt, hat Beutler-Lotz beobachtet. „Wirtschaftlich könnte es jetzt eigentlich wieder besser laufen. Aber das Problem ist, dass den Schaustellern die Mitarbeiter fehlen und sie in Teilen keine Ware bekommen.“

Vor Corona seien viele Mitarbeitende aus Osteuropa gekommen, die etwa für den Auf- und Abbau der  Stände und Fahrgeschäfte zuständig waren. „Mit der Pandemie mussten sie entlassen werden – danach sind sie nicht mehr zurückgekommen.“

Es sei wichtig, sagt Christine Beutler-Lotz, eine Vertrauensperson zum Reden zu haben. „Einmal hat mir eine Schaustellerin von der Krebserkrankung ihres Mannes erzählt. Den anderen Schaustellern konnte sie das nicht erzählen. Die hätten sonst sofort darüber spekuliert, wer bald den Stand übernehmen kann.“

Digital erreichbar: Die Pfarrer:innen im Netz

Pfarrerin Julia Marburger
privat
Pfarrerin Julia Marburger

Anonym und vertraulich sind auch die Pfarrer:innen im Netz erreichbar. „Eine Stärke dieser Seelsorgeform ist, dass sie sehr niedrigschwellig ist. Das führt dazu, dass sich auch Menschen bei uns melden, die sonst nicht persönlich einen Pfarrer aufsuchen würden“, sagt Pfarrerin Julia Marburger.

Sie ist eine von fünf Pfarrrer:innen im Netz, an die sich Menschen per Mail über ein vertrauliches Postfach melden können. „Auch das Seelsorgegeheimnis können wir über diesen Weg gut gewährleisten“, sagt Marburger.

Die Seelsorgenden haben bestimmte Themenfelder, die sie abdecken. Bei Julia Marburger etwa sind es die Themen Transgeschlechtlichkeit, Kinder und Jugendliche, Freikirchen und Sekten.

„Die Seelsorge fängt bereits da an, dass Menschen ihr Problem beschreiben und in Worte fassen müssen. Allein das ist schon ein guter Anfang“, sagt Marburger.

Seelsorge verschwitzt nach dem Fußballspiel

Stadtjugendpfarrer Matthias Braun
SJPA Mainz
Stadtjugendpfarrer Matthias Braun

„Für Seelsorge gibt es keine klassischen Sprechzeiten. Stattfinden kann sie bei einem Jugendgottesdienst, auf Freizeiten oder ganz verschwitzt nach einem Fußballspiel“, sagt der Mainzer Stadtjugendpfarrer Matthias Braun.

Seelsorge beschreibt Braun als „geschwisterliches Miteinander.“ „Christlich gesprochen sind wir durch die Taufe alle eine große Familie. Demnach kann jede und jeder Seelsorge leisten und für andere da sein“, sagt er.

Ein wesentlicher Aspekt sei dabei die Gemeinschaft. „Natürlich gibt es Gemeinschaft auch im Sportverein. Aber als Christen leben wir aus der Botschaft heraus, dass wir ohne unser Zutun und mit all unseren Mängeln von Gott geliebt sind. Zu sagen ‚Du bist hier angenommenso wie du bist, das ist schon Seelsorge und macht uns als Gemeinschaft aus‘.“

Stichwort: Telefonseelsorge

Unter den Telefonnummern 0800 / 111.0 111 und 0800 / 111 0 222 ist die Telefonseelsorge an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr erreichbar. Das vertrauliche und anonyme Angebot besteht auch per Mail und per Chat

Was, wenn es keine Seelsorge mehr gäbe?

„Der Mensch ist ein Beziehungswesen und damit auf andere angewiesen“, ergänzt Carmen Berger-Zell vom Zentrum Seelsorge und Beratung der EKHN. Die Pfarrerin betont, dass Seelsorge sich nicht allein auf Krisensituationen beschränkt.

Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. 

So heißt es bei Paulus im Römerbrief. Anteil nehmen am Leben anderer, das beschreibt Berger-Zell als eine Form von Solidarität.

„Es kann sein, dass es irgendwann keine Kirche mehr als Organisationsform gibt. Speziell ausgebildete Seelsorger, etwa in Schulen, Gefängnissen oder in der Trauerarbeit, würden dann wegfallen.“

Dass es damit einhergehend überhaupt keine Seelsorge mehr geben wird, hält Berger-Zell für unwahrscheinlich. „Seelsorge wird es weiterhin geben, solange es Menschen gibt, die als Christen leben.“

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