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Interview

Sparmaßnahmen für die Diakonie Hessen

Am Tisch liegen Flyer von der Diakonie und Formulare. Man sieht 2 Menschen im Anschnitt, die darüber sprechen.
fundus-medien.de/Peter Bongard
Expert:innen des Diakonischen Werks beraten Menschen.

Laut Carsten Tag droht dem hessischen Landesverband der Diakonie ein deutliches Minus bei Zuweisungen. Er sieht Stellen gefährdet.

Die Diakonie Hessen bekommt von den Landeskirchen weniger Zuwendungen als bisher. Die Sparpläne kommen sowohl aus der Evangelischen Kirchen in Hessen und Nassau (EKHN), als auch von Kurhessen-Waldeck (EKKW). Beide Kirchen haben Kürzungen um 30 Prozent auf ihren Synoden beschlossen. 

Konkret soll sich aus der EKHN der jährliche Zuschuss schrittweise bis 2030 um gut zwei Millionen Euro verringern. Außerdem bekommen auch die Regionale Diakonie in Hessen und Nassau gGmbH (RD HN) und das Diakonische Werk Marburg-Biedenkopf weniger Zuweisungen. Das sind noch einmal eine Kürzung von rund 900.000 Euro.  

Aus der EKKW sollen bis 2030 rund 1,1 Millionen Euro weniger an die Diakonie Hessen gehen. Die regionalen Werke blieben hier von der Kürzung ausgenommen. Damit sind die Synodalen zumindest in Bezug auf die Diakonie Hessen der Beschlussempfehlung der jeweiligen Kirchenleitung gefolgt. 

Demo gegen Kürzungen bei der Diakonie
Renate Haller

Darüber haben Mitarbeitende der Regionalen Diakonie in Hessen und Nassau auf der EKHN-Synode ihren Unmut geäußert. „Wir fordern Null-Kürzung“, sagte Anja Kolb Hiemenz von der Gesamt-Mitarbeitervertretung gegenüber indeon.de. Etliche ihrer Kolleginnen und Kollegen hatten bei der Demonstration Schilder dabei. „Im stillen Gedenken an die Migrationsberatung“, „Wir vermissen dich, Schwangerenkonfliktberatung“ oder auch „Pfui Deibel“ waren darauf zu lesen.

Die Demonstrierenden machten damit darauf aufmerksam, dass Kürzungen der Finanzzuweisung das Aus für einige Bratungsstellen bedeuteten. Marijke Eppendorfer von der Diakonie Darmstadt-Dieburg wies darauf hin, dass viele fremdfinanzierten Projekte Eigenmittel voraussetzen. Die „Aktion Mensch“ etwa gebe nur dann ihre 80 Prozent für ein Projekt frei, wenn die Diakonie 20 Prozent selbst finanziere. Könnten diese 20 Prozent nicht mehr aufgebracht werden, „fällt das Projekt weg“.

Schon im Sommer 2023 hat Diakoniechef Carsten Tag im Interview mit Renate Haller darüber aufgeklärt, was diese Kürzungen für die Diakonie Hessen bedeuten. Unter anderem werden 30 Stellen voraussichtlich gestrichen werden. 

30 Prozent weniger Geld für die Diakonie?

Portrait von Diakoniechef Carsten Tag
Diakonie Hessen/Gaby Gerster
Diakoniechef Carsten Tag hofft, dass die Synodalen eine 30prozentige Kürzung der kirchlichen Zuweisungen an die Diakonie Hessen ablehnen.

Herr Tag, wissen Sie schon, ob und wie viel die EKHN künftig weniger an die Diakonie überweisen möchte?

Carsten Tag: Beide Kirchenleitungen haben sich darauf verständigt, dass die Zuweisung für den Landesverband um 30 Prozent gekürzt werden soll. 2021 betrug die Gesamtzuweisung der EKHN und der EKKW für die Landesgeschäftsstelle der Diakonie Hessen insgesamt 12 Millionen Euro. Aus dieser Summe speist sich der Haushalt der Landesgeschäftsstelle zu 60 Prozent. Bei einer Personalkostenquote von 75 Prozent heißt das für uns, dass wir über einen Abbau von 30 Stellen sprechen, damit wäre jede dritte Stelle in der Geschäftsstelle gefährdet.

Welche Folgen kann der Sparprozess für die Diakonie haben?

Carsten Tag: Die auf der Kippe stehenden 30 Stellen können wir nicht alle ausgleichen durch Ruhestandsversetzungen. Es gibt einen Vorschlag vonseiten der EKHN für einen zweckgebundenen Überbrückungsfonds mit dem Ziel, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden.

Diakonie Hessen

Die Diakonie in Hessen ist nach eigenen Angaben der größte Wohlfahrtsverband in dem Bundesland. Insgesamt bietet sie über 2.100 Angebote für die Pflege, Betreuung, Beratung sowie Aus-, Fort- und Weiterbildung an. Zu den Aufgabenfeldern gehören die:

  • Kinder-, Jugend- und Familienhilfe
  • Alten- und Krankenhilfe
  • Behindertenhilfe
  • Eingliederungshilfe
  • Suchthilfe
  • Migrations- und Flüchtlingsberatung
  • Beratung von Menschen in besonderen sozialen Situationen

Was weitere Einsparungen angeht, ist der Vorstand aufgerufen, Vorschläge zu erarbeiten. Wir haben im letzten Jahr unsere Strategie 2027 verabschiedet, und deutlich gemacht, dass wir den Fokus auf unsere Kernaufgaben als Mitglieder- und Spitzenverband richten müssen. Das bedeutet, dass wir uns von einzelnen Arbeitsgebieten verabschieden müssen, so schwer uns das auch fällt.

Regionale Diakonische Werke müssen sparen

Bislang gibt es einen Beschluss der Kirchenleitungen, entscheiden werden aber die Synodalen. Sehen Sie noch Spielraum?

Carsten Tag: Geplant ist, dass es im November von beiden Synoden, der hessen-nassauischen und der kurhessischen, einen gleichlautenden Beschluss gibt. Es wird vorab noch eine Abstimmung geben im Koordinierungsausschuss. Das ist ein Gremium mit Synodalen aus beiden Kirchen, zu dem wir als Diakonie Hessen geladen sind, allerdings ohne Stimmrecht.

Für die „Regionale Diakonische Werke in Hessen und Nassau gGmbH“, also den Zusammenschluss der 17 regionalen diakonischen Werke, die nun wieder zur EKHN gehören, sind Kürzungen in Höhe von 20 Prozent vorgesehen.

Während der diakonischen Beratung
fundus-medien.de/Peter Bongard

Das heißt, die Kirchenleitung der EKHN differenziert zwischen der Arbeit des Landesverbands der Diakonie und der Arbeit der regionalen diakonischen Werke. Das können wir nicht nachvollziehen.

Hessische Landeskirchen in unterschiedlicher finanzieller Situation

Die vergangenen Synodaltagungen haben gezeigt, dass die Synodalen nicht immer den Vorschlägen der Kirchenleitung folgen. Haben Sie Hoffnung, dass dies auch hier so sein wird?

Carsten Tag: Wir setzen uns mit aller Kraft dafür ein, den Beschluss der Kirchenleitung noch zu verändern und hoffen, dass die Synode der EKHN für eine deutlich geringere Sparsumme eintritt. Die Finanzsituation der beiden Landeskirchen unterscheidet sich. Wir denken, der stärkere Partner kann größere Lasten tragen. Das wäre in diesem Fall die EKHN.

Die Kirche will sparen und auch der Bund. Was bedeutet das für die Diakonie?

Carsten Tag: Wir werden doppelt in die Zange genommen, wie das Beispiel der Freiwilligendienste zeigt.

Wir haben bisher pro Jahr 650 junge Menschen in das Freiwillige Soziale Jahre vermittelt. Weniger Geld von Bund und Kirche bedeutet, dass wir rund 200 Freiwillige weniger vermitteln können.

Das geht zu Lasten von Kirchengemeinden und Einrichtungen, die ganz wesentlich auf FSJ-ler angewiesen sind. Gerade in sozialen Einrichtungen sind die Freiwilligen wichtig, auch weil junge Menschen damit in den sozialen Bereich hineinschnuppern können.

Gibt es für die Diakonie Hessen andere Möglichkeiten der Finanzierung?

Carsten Tag: Das ist nur sehr eingeschränkt möglich. Wir sind angewiesen auf Kirchensteuermittel und auf Mitgliedsbeiträge, die wir nicht beliebig erhöhen können, weil unsere Mitglieder ihrerseits finanziell mit dem Rücken an der Wand stehen.

Dazu gibt es Spenden und projektfinanzierte Mittel, die wir derzeit in einem erheblichen Maße einwerben können. Ein Beispiel ist die Kampagne „#wärmespenden“: Seit vielen Wintern sammeln wir gemeinsam mit Partnern einen sechsstelligen Spendenbetrag ein, der Wohnsitzlosen zugute kommt.

Das geht nur, weil wir unser Personal dafür einsetzen. So entstehen Hebelwirkungen, bei denen wir einen Euro, den wir erhalten, vervielfachen können. Ob solche Kampagnen und damit auch solche Hebelwirkungen künftig noch möglich sind, wissen wir nicht.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant eine Krankenhausreform. Es geht unter anderem um Spezialisierungen einzelner Kliniken und das Aus für andere. Fürchten Sie um den Erhalt diakonischer Krankenhäuser?

Carsten Tag: Im Prinzip unterstützen wir die geplante Differenzierung in unterschiedliche Kategorien von Krankenhäusern. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass medizinische Versorgung flächendeckend vorhanden ist, vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung.

Der größte Vorwurf gegen den Reformentwurf ist deshalb, dass der Bund versucht Maßstäbe zu setzen, die für alle gelten sollen. Aber die Länder haben die Aufgabe und Pflicht zu schauen, was vor Ort benötigt wird und können das gemeinsam mit den Kommunen auch am besten entscheiden.

Altenpflege-Einrichtungen in Hessen schließen

In Hessen mussten in den vergangenen zweieinhalb Jahren 38 Pflegeeinrichtungen schließen. Und das, obwohl immer mehr Menschen laut statistischem Bundesamt darauf angewiesen sind. Die Einrichtungen kämpfen um ihr wirtschaftliches Überleben.

Nicht nur die Krankenhäuser schreiben rote Zahlen, auch Altenheime müssen schließen. Warum?

Carsten Tag: Wir fordern seit über einem Jahr in unseren Gesprächen Politiker und Politikerinnen auf, die Situation stärker in den Blick zu nehmen und hören doch jeden zweiten Tag von einer weiteren Insolvenz eines Alten- und Pflegheimes.

Die flächendeckende Versorgung ist nicht mehr gegeben.

Um als Träger auskömmlich finanziert zu sein, müssen 98 Prozent der Betten im ganzen Jahr belegt sein. Das schafft man nur mit ausreichendem Personal, das es aber nicht gibt.

Leiharbeit in der Pflege

Deshalb greift man auf Leiharbeit zurück. Diese Leih-Pflegekräfte kosten das drei- bis vierfache, refinanziert wird aber nur der einfache Satz. Das führt zu erhöhten Kosten, die irgendwann nicht mehr tragbar sind, weshalb ein ganzer Flur geschlossen wird. Die Kosten laufen aber weiter, ohne dass es ausreichend Einnahmen gibt.

Das heißt, das fehlende Personal ist der entscheidende Faktor. Dazu kommen die gestiegenen Sachkosten und eine zunehmende Bürokratisierung, die Arbeitsabläufe erschwert.

Forderungen für die Pflege

Was muss passieren, damit mehr Menschen in der Pflege arbeiten wollen?

Carsten Tag: Die durchschnittliche Verweildauer von Menschen im Pflegeberuf beträgt acht Jahre. Damit Pflegekräfte zurückkommen, wollen sie mehr Gehalt. In diesem Bereich hat sich schon einiges getan.

Die Pflegekräfte wünschen sich auch eine angemessene Kommunikation mit Ärzten und Ärztinnen auf Augenhöhe und vor allem mehr Zeit für die Patienten und weniger Bürokratie. Sie brauchen zudem feste freie Zeiten.

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Was halten Sie von dem Vorschlag der CDU/CSU, pflegenden Angehörigen einen Lohnersatz zu bezahlen, so wie das beim Elterngeld der Fall ist?

Carsten Tag: Insgesamt 75 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt, in der Regel von Familienangehörigen. Deshalb ist der Vorschlag im Grundsatz zu begrüßen.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, wer das bezahlen soll? Wir sollten eher die Strukturen anschauen und fragen, was es braucht, um Menschen gut zu Hause versorgen zu können, um dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel in der Pflege bestmöglich begegnen zu können.

Wir brauchen:

  • Nachbarschaften und
  • funktionierende Netzwerke in den Kommunen.

Dazu tragen auch die Kirchengemeinden bei. Beide Kirchen haben in ihren strategischen Planungen die stärkere Ausrichtung in den Sozialraum, in das Gemeinwesen.

Als Diakonie sagen wir: Wir sind schon da! Wir sind eure Partner, um den Sozialraum gemeinsam mit euch zu gestalten, sowohl als Landesverband wie auch als regionales diakonisches Werk oder als Träger eines Altenheims. Nutzt es und stattet uns mit den notwendigen Ressourcen aus!