Für wen in der Nachbarschaft kann ich einkaufen gehen? Wann klatschen wir wieder für die Pflegekräfte? Die ersten Wochen im Lockdown war gefühlt ganz Deutschland plötzlich super solidarisch. Die Krise hat zusammengeschweißt. Davon hat auch die Kirche profitiert.
Unglaublich, aber das alles ist jetzt genau ein Jahr her. Die Entscheidung der Bundesregierung hatte auch Auswirkungen auf das Kirchenleben. Von heute auf morgen hieß es für die wenigen Gottesdienstbesucher: Ihr müsst draußen bleiben. Auch das bevorstehende Osterfest wird wohl vielerorts digital stattfinden. Die Kirchen sind wieder dazu aufgerufen, überwiegend auf Präsenzgottesdienste zu verzichten.
Für kirchliche Verhältnisse schnell stiegen damals viele Gemeinden in Nacht- und Nebel-Aktionen von analog auf digital um. Das hat bei den einen besser, bei den anderen schlechter, bei anderen gar nicht funktioniert.
So oder so: Es war ein Weckruf. Spät, aber immerhin. Nun sind in dieser Zeit also zahlreiche Online-Formate entstanden. Von einem „Digitalisierungsschub“spricht EKHN-Kirchenpräsident Volker Jung. Viele Pfarrerinnen und Pfarrer berichteten schon wenige Wochen nach dem Lockdown-Start, wie großartig die Resonanz auf die neuen Angebote sei. Von mehreren hunderten, ja tausenden Besuchern, war da die Rede. Auch Kirchenferne hätten sich zugeschaltet.
Ich gebe zu: Im ersten Moment war ich beeindruckt. Ein paar Monate später dann eher gelangweilt. Irgendwie kam nichts Neues mehr. Auch wenn „Autogottesdienste“ wie zum Beispiel in Viernheim oder Workout-Gottesdienste mit Frankfurts Stadionpfarrer Eugen Eckert echt coole Ideen waren. Aber eben auch nur, weil es alles zum ersten Mal gab.
Aber Live-Andacht Nummer 496 mit Chat-Funktion und Bildchen posten. Naja. So richtig sexy war das zumindest nach der ersten Euphorie nicht mehr.
Den vielen engagierten Pfarrerinnen und Pfarrern sowie den Ehrenamtlichen mache ich keinen Vorwurf. Woher sollen sie es denn können von jetzt auf gleich? Einige hatten vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben von einem Hashtag, einem Live-Video und einer Chat-Funktion gehört. Immerhin: Nach und nach kamen einige Lernangebote etwa aus dem Evangelischen Medienhaus. Doch das reicht nicht. So schnell lassen sich keine "Digital Natives" formen.
Im ersten Moment war ich beeindruckt. Ein paar Monate später gelangweilt.
Hätte ich nun die Patent-Lösung, säße ich morgen vermutlich in einem EKD-Zoom mit wichtigen Persönlichkeiten. Die habe ich nicht. Ich bin zwar keine Pessimistin, aber die weit verbreitete „Wir sind jetzt die crazy #digitaleKirche“-Mentalität nervt. Es gibt noch viel zu tun.
Ob der alte, weiße Mann mir von der Kanzel was vom Leben erzählt oder in einer vermeintlich hippen Insta-Story, ist mir egal.
Was es braucht, sind junge, motivierte Pfarrerinnen und Pfarrer, die andere mitreißen. Denn, sorry: Ob der alte, weiße Mann mir von der Kanzel was vom Leben erzählt oder in einer vermeintlich hippen Insta-Story, ist mir egal.
Der Nachwuchsmangel ist die Wurzel vielen Übels. Und die wenigen, die sich noch für den Beruf entscheiden, müssen affin und fit sein für die digitale Welt. Ja, die persönliche Begegnung bleibt wichtig. Ja, und auch Oma Ilse will weiterhin Kuchen essen mit ihrem Herrn Pfarrer. Aber die Kirchen-Besucherinnen und Besucher von Morgen hängen auf Instagram und Co ab. So sind sie eben, diese jungen Leute. Nicht zu ändern, Punkt.
Also rein ins Influencer-Getümmel. Die Konkurrenz ist riesig. Aber einfach mal machen, ist (fast) immer ein guter Anfang. Auch die jüngsten Landtagswahl-Ergebnisse etwa aus Rheinland-Pfalz haben mal wieder gezeigt: Es geht um die Person.
Das ist der Anfang. Hinter den digitalen Kulissen muss sich aber auch die berühmt-berüchtigte „Kirche vor Ort“ verändern. Muss jede Mini-Gemeinde eine üppige Kirche auf dem Marktplatz stehen haben? Und wenn, ist es doch eine Schande, das Gebäude so wenig zu nutzen. Mal abgesehen von Corona: Lasst uns die Kirchen umgestalten. Ja, da muss Geld in die Hand genommen werden. Aber gibt es Alternativen?
Kürzlich hat sich der Laubacher Gemeindepfarrer und "Sinnfluencer" Jörg Niesner gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd) dazu geäußert. Einer seiner Vorschläge: Co-Working-Spaces. Denn die Frage „Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?“ wird die Unternehmen auch nach der Krise umtreiben. Was bleibt Kirche anderes übrig, außer ausprobieren. Jetzt bloß nicht stehen bleiben bei Live-Andachten und Zoom-Gottesdienst. Aufstehen, Krone 👑 richten, weitermachen.
Nach dem ersten Hype: Digitale Kirche muss sich weiter entwickeln